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Brexit

Goodbye Europe: Die Briten reichten die Scheidung ein

Neun Monate nach dem Brexit-Referendum hat die Regierung in London Ende März den offiziellen Austrittsbrief an die EU übergeben. Die Europäische Union zeigte zwar ihr Bedauern, betonte aber gleichzeitig die noch stärkere Einheit der verbliebenen 27 Mitgliedsländer und auch, dass die Austrittskosten so gering wie möglich sein müssten.

Die Brexit-Verhandlungen sollen im Juni beginnen. Mit Ende März trat eine zweijährige Frist in Kraft, innerhalb der die Bedingungen des Austritts verhandelt werden müssen.

Premierministerin Theresa May hatte Mitte April überraschend Neuwahlen für den 8. Juni angekündigt. Sie will damit unter anderem ihre Position in den Brexit-Verhandlungen stärken.

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Der Tag ist gekommen

Das Twitter-Konto von Premierministerin Theresa May informiert über den Prozess.

May unterzeichnete historischen Brexit-Antrag

Neun Monate nach dem Brexit-Referendum reicht Großbritannien heute die Scheidungspapiere in Brüssel ein. Nun stehen komplizierte Verhandlungen an, deren Ziel unklar ist. Sicher ist nur, dass May einen harten Brexit will:

"Es wird viel auf den Goodwill ankommen"

Die TT sprach mit der Politologin Melanie Sully, Direktorin des Instituts für Go-Governance in Wien und frühere Gastprofessorin am Institut für Politikwissenschaft an der Uni Innsbruck, über die Folgen des Brexit - für Großbritannien und für Europa.

Wie ist die Stimmung in Großbritannien? Steigt angesichts des beginnenden Austrittsprozesses die Nervosität oder sieht man den anstehenden Verhandlungen mit Brüssel und den Folgen gelassen entgegen?

Melanie Sully: Während in England dem Austrittsantrag großteils mit Gelassenheit begegnet wird, steigt in Schottland, wo ein neues Unabhängigkeitsreferendum vorbereitet wird, und in Nordirland, wo der Friedensprozess in Gefahr geraten könnte, die Nervosität. Die britische Regierung geht freilich geeint in die Austrittsverhandlungen mit der EU, Premierministerin May scheint ihre Konservativen unter Kontrolle zu haben, sie hat die Reihen geschlossen. Die einzig wirkliche Opposition ist die Schottische Nationalpartei, Labour wirkt desorientiert und ist mit internen Grabenkämpfen beschäftigt.

Wir sind an der Schwelle der wichtigsten Verhandlungen dieses Landes für eine Generation",erklärte Brexit-Minister David Davis. Sind sich die Briten der äußerst schwerwiegenden Konsequenzen der Scheidung von Europa auch in wirtschaftlicher Hinsicht bewusst?

Melanie Sully: Viele Konsequenzen sind auch heute längst noch nicht absehbar. Es gibt zahlreiche Spekulationen, wie das künftige Verhältnis zu Europa aussehen könnte, und darüber, ob es eine Verhandlungslösung mit der EU geben muss oder ob auch ein ungeregeltes Ausscheiden Großbritanniens möglich ist. Es gilt, in besonders heiklen Punkten eine Einigung in den Verhandlungen zu finden, etwa bezüglich der Rechte der fast drei Millionen EU-Ausländer in Großbritannien oder der anstehenden Brexit-Rechnung für London-da ist ja von Summen in astronomischen Höhen die Rede. Für London geht es in erster Linie darum, die Kontrolle über die Grenzen und die Finanzen zurückzuerlangen. Es wird in den Verhandlungen wohl sehr viel auf den Goodwill von beiden Seiten ankommen. London sieht nach dem Austrittsantrag den Ball nun jedenfalls in Brüssel.

Großbriannien - ein Schwergewicht in der EU

Abbildung von: Großbriannien - ein Schwergewicht in der EU

Der Artikel 50 des EU-Vertrags und die Vorgaben zum Austritt

In Artikel 50 des EU-Vertrags ist geregelt, wie das Scheidungsverfahren abläuft. Wenn London den Europäischen Rat offiziell vom Austrittswunsch Großbritanniens unterrichtet hat, können die Verhandlungen bald beginnen. Zwei Jahre später muss der Prozess abgeschlossen sein. Die Frist kann verlängert werden - die Hürden dafür sind aber sehr hoch. Die EU begibt sich mit dem britischen Austritt auf unbekanntes Terrain. Denn der Artikel 50 gibt zwar den Rahmen der Verhandlungen vor, regelt aber nicht alle Einzelheiten.

Das Austrittsabkommen muss am Ende mit einer qualifizierten Mehrheit der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten beschlossen werden - von mindestens 55 Prozent der Länder, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren müssen. Auch das EU-Parlament muss zustimmen.

Wenn kein Abkommen zustande kommt und keine Fristverlängerung gewährt wird, würde Großbritannien zwei Jahre nach dem Einreichen des Austrittsgesuchs ungeregelt aus der EU ausscheiden.

EU-Parlamentsvize: Keiner denkt an Bestrafung Großbritanniens

Die EU will in den Brexit-Verhandlungen nach den Worten des deutschen Europapolitikers Alexander Graf Lambsdorff kein Exempel statuieren. "Bei allen Gesprächen, die man hier führt, ob das mit der Kommission ist, ob das im Europäischen Parlament ist, gibt es niemanden, der daran denkt, Großbritannien in irgendeiner Weise zu bestrafen", sagte der Vize-Präsident des Europaparlaments am Mittwoch.

Experten hatten davon gesprochen, dass die EU bis zu 60 Milliarden Euro von Großbritannien verlangen könnte. Die sei keine Strafe, betonte Lambsdorff (FDP) im Deutschlandfunk. "Das sind von Großbritannien eingegangene Verpflichtungen."

"See EU later": "Sun" wirft Abschiedsgrüße auf Felsen

Der Brexit versetzt wohl wenige Europäer in Feierlaune - die britische Boulevardzeitung The Sun aber offenbar schon. Sie zelebrierte heute den offiziellen Austrittsantrag, indem sie Abschiedsgrüße an die weißen Kreidefelsen der Küstenstadt Dover projizierte.

Auf den Klippen erschien etwa "See EU later", ein Wortspiel, das "Bis dann" bedeutet und dabei "you" mit dem auf Englisch ähnlich klingenden "EU" ersetzt. Auch der Spruch "Dover & out" wurde projiziert, angelehnt an "over and out", was im militärischen Sprachgebrauch das Ende einer Durchsage signalisiert. Die Kreidefelsen liegen vis-a-vis der französischen Küste, am engsten Teil des Ärmelkanals zwischen den beiden Ländern.

The Sun gilt als EU-kritisch und hatte vor dem Brexit-Referendum stark für den Austritt Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft geworben. 

Sanfte Töne oder Ärger von allen Seiten?

Am frühen Nachmittag soll das Brexit-Schreiben in Brüssel ankommen. Dann können die Verhandlungen über den EU-Austritt starten. Britische Medien spekulieren, Premierministerin May könnte Signale der Kompromissbereitschaft aussenden:

Die Verhandler

Mit dem Start des Brexit-Verfahrens rückt der Beginn der Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens näher. Voraussichtlich ab Mai oder Juni starten die Gespräche. Auch wenn sich die Verhandlungsteams je nach Themen immer wieder verändern werden, stehen ihre Spitzen fest:

DIE BRITEN

David Davis, Brexit-Minister. Der 68-jährige Konservative ist ein überzeugter Euroskeptiker und leitet nun das neu gegründete Ressort "für den Austritt aus der Europäischen Union". Er gilt in Verhandlungen als hartnäckig und manchmal rücksichtslos. Auch wenn er glaubt, dass das Vereinigte Königreich außerhalb der EU letztlich besser dasteht, hat er eingeräumt, dass die britische Wirtschaft leiden könnte, wenn die Einwanderung aus der EU von einem Tag auf den anderen gestoppt wird.

Tim Barrow, seit Jänner Botschafter Großbritanniens bei der EU, nachdem sein Vorgänger Ivan Rogers wegen Meinungsverschiedenheiten mit London zum Brexit zurückgetreten war. Der 53-jährige Karrierediplomat gilt als Vertrauter von Premierministerin May. Er war zuvor Botschafter in Russland und in der Ukraine und bereits zwei Mal als Diplomat in Brüssel. Seine erste Brexit-Aufgabe am Mittwoch: Er soll EU-Ratspräsident Donald Tusk den Brief mit der offiziellen Austrittserklärung überbringen.

DIE EU

Michel Barnier, Brexit-Verhandlungsführer der EU-Kommission. Der ehemalige französische Außen- und Agrarminister leitet dabei im Auftrag der gesamten EU die Austrittsgespräche. Der 66-jährige Konservative ist vor allem in der Londoner City noch in unguter Erinnerung. Denn während seiner Zeit als Binnenmarktkommissar von 2010 bis 2014 suchte er als Reaktion auf die Finanzkrise, eine stärkere Regulierung der Branche durchzusetzen. Unterstützt wird Barnier bei den Brexit-Verhandlungen durch die deutsche Handelsexpertin Sabine Weyand, die seine Stellvertreterin ist.

Didier Seeuws führt die Brexit-Arbeitsgruppe des Rats der Mitgliedstaaten. Der 51-jährige belgische Diplomat war von 2003 bis 2007 Sprecher des damaligen belgischen Ministerpräsidenten Guy Verhofstadt. Bis November 2014 war er dann Kabinettschef des gleichfalls aus Belgien stammenden EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy. Der EU-Rat gibt die Leitlinien für die Verhandlungen vor, die im Laufe der zweijährigen Austrittsgespräche wohl mehrfach aktualisiert werden. Seeuws soll dafür sorgen, dass die Leitlinien von der Kommission eingehalten werden.

Guy Verhofstadt, der belgische Ex-Regierungschef, ist Brexit-Beauftragter des EU-Parlaments, das am Ende über den Austrittsvertrag abstimmen muss. Der 63-Jährige ist ein überzeugter Europäer und warb schon vor einem Jahrzehnt in einem Buch für "Die Vereinigten Staaten von Europa". Verhofstadt wird voraussichtlich nicht direkt an den Verhandlungen teilnehmen, der EU-Rat hat dem Parlament lediglich eine "umfassende" Information zugesichert.

Kern: Rasch und friktionsfrei vollziehen

Bundeskanzler Christian Kern bekräftigte am Tag des Brexit-Antrages seine Position für die kommenden Monate: Es sei bedauerlich, dass Großbritannien diese Entscheidung getroffen habe, "aber jetzt müssen wir den Ausstieg des Landes aus der EU rasch und friktionsfrei vollziehen", erklärte Kern in einer Aussendung.

Ein wesentlicher Punkt, der geklärt werden müsse, sei die Situation der rund 25.000 österreichischen Staatsbürger in Großbritannien, erklärte der Kanzler. Auch für österreichische Unternehmen, die in Großbritannien tätig sind, wolle man schnell Klarheit und Rechtssicherheit erreichen.

Die zweite drängende Frage sind für Kern die hohen Verbindlichkeiten Großbritanniens bei der EU. "Angesichts der kolportierten Schätzungen von bis zu 60 Milliarden Euro, die die Briten der EU noch schulden, wird das sicher ein zähes Ringen werden", so die Einschätzung des Bundeskanzlers.

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