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Die Briten haben sich mehrheitlich für den Austritt aus der EU entschieden.

Brexit

Das Brexit-Votum und seine Folgen

Die Konservative Theresa May hat bereits kurz nach ihrer Ernennung zur britischen Premierministerin für einen Paukenschlag gesorgt. Sie besetzte gleich mehrere Posten neu, um für den Ausstieg ihres Landes aus der EU gewappnet zu sein. Die größte Überraschung dabei ist der umstrittene Brexit-Wortführer Boris Johnson: Der frühere Bürgermeister von London ist nun Außenminister.

Die Ernennung stieß umgehend auf Kritik. May habe "den Bock zum Gärtner gemacht", sagte die deutsche Grünen-Chefin Simone Peter. SPD-Vizechef Ralf Stegner sagte, dass sich die Premierministerin damit selbst schwäche. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) teilte dagegen auf Twitter mit, dass er sich auf die Zusammenarbeit mit Johnson freue.
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Goodbye Europe: Der Zweckehe droht die Scheidung

Am Donnerstag entscheiden die Briten in einem Referendum über den Verbleib ihres Landes in der EU. Eine Scheidung würde Großbritannien, Europa und die Welt nachhaltig verändern.

Eine Zusammenfassung gibt es hier:

Knappe Mehrheit der EU-Bürger gegen Austritt

Eine Mehrheit der EU-Bürger wünscht sich, dass Großbritannien in der Europäischen Union bleibt. Laut einer am Montag vorgestellten Studie der Bertelsmann-Stiftung mit dem Titel "Bleibt doch" spricht sich mit 54 Prozent allerdings nur etwas mehr als die Hälfte dafür aus. Rund jeder fünfte will, dass die Briten die Staaten-Gemeinschaft verlassen. Auffallend nach Meinung der Forscher ist generell, dass 25 Prozent insgesamt nicht wissen, welchen Standpunkt sie bei dieser Frage einnehmen sollen. 

Laut Studie haben Alter und Wissen der Befragten wenig Einfluss auf die Meinung zum möglichen Brexit. Entscheidend sei die Grundeinstellung zur EU. Mit 72 Prozent wünscht sich eine große Mehrheit der EU-Fans den Verbleib der Briten. Bei den Europaskeptikern sind es nur 30 Prozent. In dieser Gruppe aber gibt es nach Ansicht der Bertelsmann-Forscher eine Überraschung. Nur 38 Prozent der EU-Kritiker wünschen sich den Austritt des Königreichs. Mit 32 Prozent wissen fast ebenso viele der Skeptiker nicht, was sie sich wünschen sollen.

Am 23. Juni entscheiden die Briten in einem Referendum über den Brexit, also den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union.

Kurz: Brexit wäre "furchtbar"

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union als "furchtbar" bezeichnet. Großbritannien sei nämlich ein Land, "das uns in der EU ideologisch sehr gut tut", sagte Kurz in einem auf Facebook veröffentlichten Videobeitrag. Konkret nannte er das Eintreten Londons für eine liberale Wirtschaftspolitik, gegen Sozialmissbrauch und Brüssel.

"Ein Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union wäre aus meiner Sicht furchtbar", beantwortete Kurz in seinem Beitrag die Frage eines Facebook-Users zu den Folgen eines Brexit. Es wäre gut, "wenn Großbritannien nicht nur in der Europäischen Union bleibt, sondern wenn auch einige der Vorschläge der Briten aufgegriffen und umgesetzt werden", betonte der ÖVP-Politiker. "Das würde uns als Europa weiter stärken."

In Anspielung auf die vor dem Brexit-Referendum ausgehandelten Sonderregelungen für London sagte Kurz, die Briten hätten "einige Punkte in die Diskussion gebracht, wo sich die EU weiterentwickeln sollte". So setze sich Großbritannien für mehr Subsidiarität (Regelung von politischen Fragen auf der jeweils untersten politischen Ebene statt Zentralisierung, Anm.) ein und dafür, dass die Personenfreizügigkeit in der EU nicht damit "verwechselt werden sollte, sich das beste Sozialsystem in Europa auszusuchen".

Abbildung von: Kurz: Brexit wäre "furchtbar"

John Oliver will Briten mit Gedicht umstimmen

Der Satiriker John Oliver, selbst gebürtiger Brite, hat in seiner US-Late-Night-Show "Last Week Tonight" auf HBO am Sonntagabend seine Landsleute aufgerufen, am Donnerstag gegen den EU-Austritt zu stimmen. "Ein Brexit könnte weitreichende Folgen sowohl für Großbritannien als auch die Weltwirtschaft haben", warnte Oliver, der auch den Europaabgeordneten Eugen Freund (SPÖ) zu Wort kommen ließ.

Oliver spielte ein Video ein, in dem Freund ein kurzes Anti-Brexit-Gedicht verliest. "Komm schon, Großbritannien", scherzte der Moderator dann, "wenn ein österreichischer Bürokrat mittleren Alters euch mit krassen Halbreimen in einem belebten Flur nicht umstimmen kann, dann kann es niemand!"

In seinem 15-minütigen, gewohnt pointierten Monolog kritisierte der Late-Night-Talker u.a. die aggressive politische Stimmung, die zum Mord an der britischen Labour-Politikerin Jo Cox geführt habe, und widerlegte vermeintliche Fakten und Zahlenspielereien der Euroskeptiker Nigel Farage und Boris Johnson.

Farage: "Österreicher die ersten, die folgen werden"

Der Anführer der britischen EU-Gegner, Nigel Farage, rechnet mit einem EU-Austritt Österreichs innerhalb von Monaten nach einem Brexit. "Wenn wir erst raus sind, seid ihr in Österreich sechs Monate später vermutlich die ersten, die folgen werden", sagte Farage der Info-Illustrierten "News". "Das wird fast wie beim Pferderennen. Wer geht früher: ihr oder vielleicht doch die Dänen?"

"Wir haben das Momentum, die Tage der EU sind gezählt", zeigte sich der Chef der "United Kingdom Independence Party" (UKIP) in dem am Samstag veröffentlichten Interview zuversichtlich. Zugleich grenzte er sich deutlich von der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen und ihrer österreichischen Kooperationspartnerin FPÖ ab. "Die sind eher rechts, wir in der Mitte", so Farage.

Abbildung von: Farage: "Österreicher die ersten, die folgen werden"

Drohung: Fiat könnte Produktion von England nach Steyr verlagern

"Im Fall eines Brexit würden wir die Produktion aus England in unser österreichisches Werk nach Steyr verlagern", kündigte der Chef von Fiat Chrysler Automobiles (FCA), Sergio Marchionne, am Wochenende in Venedig an, schreibt der "Standard" (Montag).

Die von der Fiat-Agnelli-Familie kontrollierte Land- und Baumaschinengruppe CNH (Case New Holland) produziert jährlich 22.000 Traktoren im britischen Basidon und beschäftigt dort 1.000 Arbeitnehmer.

Der FCA-Konzern folgt den Ankündigungen mehrerer Industriekonzerne wie Ford, Land Rover, Nissan, Honda oder GM, die mit einer Produktionsauslagerung aus Großbritannien drohten, sollte sich das Land für einen Austritt aus der EU entscheiden.

Prominente Brexit-Befürworterin wechselt das Lager

Eine konservative Brexit-Befürworterin wechselte kurz vor der Abstimmung ins Pro-EU-Lager und machte so Schlagzeilen. Die Oberhaus-Parlamentarierin Baroness Sayeeda Warsi begründete ihren Schritt mit "Hass und Ausländerfeindlichkeit", die sich in der Brexit-Kampagne breitmachten.

Sie verwies dabei besonders auf ein Plakat der rechtskonservativen Ukip-Partei: Dies zeigt eine lange Menschenschlange und die Worte "Breaking Point" - Bruchstelle. Das Poster hatte bereits zuvor für Aufregung und Kritik gesorgt, auch im Brexit-Lager.

Cameron bezeichnete das Plakat als "unverantwortlich", es könnte Angst vor Migranten schüren. Dagegen verteidigte Ukip-Chef Nigel Farage das Poster. "Die Absicht war es, das Poster für einen Tag zu nutzen, um zu zeigen, die EU in jedem Sinne ein gescheitertes Projekt ist", meinte Farage.

Abbildung von: Prominente Brexit-Befürworterin wechselt das Lager

Giscard d'Estaing: EU als Kerneuropa neu organisieren

Der frühere französische Präsident Valery Giscard d'Estaing hat sich vor dem Hintergrund des Brexit-Referendums für eine Neuorganisation der Europäischen Union rund um einen "harten Kern" aus Deutschland und Frankreich ausgesprochen. "Das Europa der 28 ist nicht regierbar", sagte der Autor der gescheiterten EU-Verfassung dem Internetportal "Atlantico".

Ob mit oder ohne Großbritannien, könnte die EU nicht mehr so funktionieren wie bisher. "Dieses Europa der 28 ist unfähig, die Probleme der heutigen Zeit anzugehen, wie die Wirtschaftskrise oder die Globalisierung", kritisierte der rechtsliberale Politiker. Es sei nicht fähig, sich dem Wettbewerb mit den anderen großen Weltregionen zu stellen und auch unfähig, dem Migrationsproblem zu begegnen.

"Es ist unbedingt notwendig, dass die Europäer am Tag nach dem britischen Referendum, ungeachtet seines Ergebnisses, mit einer Neuverhandlung der Verträge über die Verwaltung Europas beginnen", sagte der französische Ex-Präsident, der in den Jahren 2002 und 2003 Vorsitzender eines Konvents aus Regierungsvertretern und Parlamentariern war. Die von diesem Gremium ausgearbeitete EU-Verfassung scheiterte unter anderem an einem Referendum in Giscards Heimat.

Brexit-Szenarien: Was ein EU-Austritt der Briten bedeuten würde

Die Brexit-Entscheidung rückt näher. Stimmen die Briten am 23. Juni für den EU-Austritt ihres Landes? Oder heißt es am Tag danach "business as usual"? Volkswirte skizzieren verschiedene Szenarien - für den Fall eines Brexit.

EINVERNEHMLICHE TRENNUNG: Premierminister David Cameron hält sich trotz des "No" seiner Landsleute im Amt und beginnt rasch Verhandlungen mit Brüssel, um sicherzustellen, dass der Handel zwischen der EU und Großbritannien auch nach 2018 weiter floriert. Weil sowohl die europäischen Partner als auch London an einer einvernehmlichen Lösung interessiert sind, gestalten sich die Verhandlungen konstruktiv. 

In diesem Szenario dürfte sich die Aufregung an den Finanzmärkten bald wieder legen, Volkswirte halten in solch einem Fall die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Brexit auf beiden Seiten des Ärmelkanals für begrenzt.

DOMINOEFFEKT: "Kommt es zu einem Austritt Großbritanniens aus der EU, könnte dies einen Dominoeffekt auslösen", warnen die Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe. Ein Sieg der EU-Gegner auf der britischen Insel könnte demnach eine Lawine lostreten: Cameron wird zum Rücktritt gedrängt, die Schotten nutzen die Gunst der Stunde und setzen ihre Forderung nach einem neuen Unabhängigkeitsreferendum durch. 

"Unter diesen Umständen muss davon ausgegangen werden, dass die Folgen eines Brexits nicht nur wesentlich dramatischer wären, sondern auch wesentlich länger anhalten würden" - sowohl für Großbritannien als auch für die Eurozone.

ROSINENPICKEN: Zumindest als nicht völlig ausgeschlossen gilt, dass die Briten im "Scheidungsvertrag" zu Lasten der EU deutliche Vorteile heraushandeln, etwa beim Thema Migration. Weil die Regulierung auf der Insel lockerer ist als in der EU, gewinnt zudem der Standort Großbritannien - allen voran die City in London - an Attraktivität und zieht frisches Kapital an. Das aus gesamteuropäischer Sicht düstere Fazit der Helaba zu diesem Szenario: "Insgesamt profitiert das Land vom Austritt, während die EU die Kosten trägt."

Brexit-Debatte im Wembley-Stadion

Im Londoner Wembley-Stadion findet morgen eine große Live-Debatte über das anstehende EU-Referendum statt (ab 21.00 Uhr MESZ). Bei der von der BBC übertragenen Diskussionsrunde treffen unter anderem der Londoner Bürgermeister und EU-Befürworter Sadiq Khan und sein Vorgänger Boris Johnson aufeinander. Johnson ist erklärter Gegner der britischen EU-Mitgliedschaft.

Zu Gast sind in dem Stadion rund 6.000 Zuschauer. Die Diskussionsrunde ist paritätisch nach Brexit-Gegnern und Befürwortern besetzt. 

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