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Sterben in Würde

Expertin im TT-Chat zum Thema "Sterben in Würde"

Ein Sterben in Würde, ohne Angst, ohne Stress, Schmerz oder Atemnot und nicht allein. Das dürfte der Wunsch vieler, wenn nicht aller Patienten sein. Die Palliativmedizin wolle und könne das leisten. "Dieser Pfad wird aber erst zu spät von Medizinern beschritten, weil sie Zeit ihrer Ausbildung und Zeit ihres Berufslebens auf Heilung getrimmt sind", sagt Barbara Friesenecker.

Sie ist seit 17 Jahren Intensivmedizinerin an der Universitätsklinik Innsbruck und Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin, kurz ÖGARI. 

Am Mittwoch stellte sich Barbara Friesenecker zuerst in der TT-Telefonstunde und dann im TT.com-Chat von 14 bis 15 Uhr den Fragen der Leser. 

Hier gibt es die Fragen und Antworten zum Nachlesen: 

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Live am Ticker

Barbara Friesenecker
Live

Chat beendet

Wir bedanken uns für die rege Teilnahme am Chat mit Barbara Friesenecker!

Barbara Friesenecker

Es gibt mehrere Gründe dafür, warum Sterben ein Tabuthema ist. Nicht zuletzt sind wir ÄrztInnen selber daran schuld, weil wir über Jahrzehnte aufgrund der boomenden Technik und der Entwicklung wirkungsvollster Medikamente das Bild vermittelt haben, dass wir alles heilen und gutmachen können.

Wir ÄrztInnen können selbst oft nicht mehr gut damit leben, dass eine PatientIn verstirbt, weil wir das Gefühl haben, wir haben versagt, wenn uns eine Heilung nicht gelingt. Dabei übersehen wir, dass Sterben ein immanenter Teil des Lebens ist, wir Sterben letztendlich nicht verhindern können und wir wieder lernen müssen, diesen letzten Lebensweg angemessen zu begleiten.

Sterben in der Gesellschaft ist ein Tabuthema, weil es uns Angst macht. Wir wissen nicht, was nachher kommt. Wir leben gerne und Medizin arbeitet daran, dieses Leben länger zu machen, aber nicht unbedingt besser.

Frage

Warum ist Ihrer Meinung nach Sterben generell immer noch ein Tabuthema?

Barbara Friesenecker

Jeder hat seine eigene Art mit dem Thema Sterben umzugehen. Hilfe kann sein: Religion, mit Menschen des Vertrauens darüber sprechen, Hilfe bei in Sterbebegleitung versierten Menschen suchen.

Wichtig ist es in jedem Fall, offen mit der schwerstkranken Person über das Thema Sterben zu sprechen. Dabei sollte man keine Angst haben vor Traurig sein, Tränen, Frustration - das schafft Erleichterung. 

Nicht-Kommunikation ist das, was alle unglücklich macht. Wichtig ist es, im Gespräch Fragen zu stellen und zuzuhören, dann ergeben sich oft gute und für alle erleichternde Gespräche über das Ende des Lebens.

Frage

Wie sollte man sich am besten mit dem Sterben eines nahen Angehörigen auseinandersetzen bzw. darauf vorbereiten?

Barbara Friesenecker

Ein Sterben in Würde zuhause ist abhängig von der Erkrankung und der Schwere der Symptome mithilfe der Begleitung durch das mobile Palliativteam möglich. Das ist in Österreich noch immer nicht flächendeckend möglich. Es gibt jedoch HausärztInnen, die eine palliative Versorgung ihrer PatientInnen zuhause gewährleisten können und wollen.

Ein weiteres Problem kann sein, dass Angehörige die Versorgung schwerstkranker/sterbender PatientInnen zuhause verlernt haben und diese lieber im Krankenhaus versorgt sehen, da sie mit der Betreuung zuhause oft überfordert sind.

Palliativmedizinische Versorgung ist etwas, das unsere Krankenkassen leisten müssen.

Frage

Inwiefern ist es in Österreich möglich, einem schwerkranken Patienten dieses „Sterben in Würde“ auch Zuhause zu ermöglichen? Welche Mittel stehen dafür zur Verfügung und welche Kosten muss der Patient dabei tragen?

Barbara Friesenecker

Ich denke, Österreich hat eine sehr gute Gesetzeslage zum Thema Sterben. Das bisher gültige Ärztegesetz aus dem Jahr 1949 hat uns einen sehr weiten Handlungsspielraum gelassen (ÄrztInnen mussten "nach Maßgabe ärztlicher Wissenschaft und Erfahrung das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden wahren"), was immer wieder zu großer Verunsicherung geführt hat.

Mit der geplanten Gesetzesänderung, in der definiert wird, dass Medikamente zur Symptomkontrolle in einer Höhe verabreicht werden dürfen, die das Leben verkürzen können (weniger Atmen, schlechter Schlucken, weniger Husten,...) wird für uns palliativmedizinisch tätigen ÄrztInnen Rechtssicherheit geschaffen für das, was wir auch bisher für die gute Betreuung unserer PatientInnen getan haben.

Ich denke, wir brauchen uns daher nicht an anderen Ländern orientieren, da unser eigenes Gesetz eine gute Versorgung sterbender Menschen erlaubt und ermöglicht. Aktive Sterbehilfe ist für mich sowieso kein anstrebbares Ziel.

Frage

Gibt es andere vergleichbare Länder in Europa, an denen sich Österreich in Bezug auf das Thema Sterben orientieren sollte? Und an welchen nicht?

Barbara Friesenecker

Es sollte für jede PatientIn in Österreich ein Sterben in Würde möglich sein. Flächendeckende palliativmedizinische Versorgung ist das vom ÖSG vorgegebene Ziel. Die Ausbildung von ÄrztInnen schwierige medizinische Entscheidungen am Lebensende weg vom Prinzip der Heilung, hin zur Palliativmedizin mutig zu treffen, liegt derzeit noch im Argen.

Daher betreiben wir häufig Übertherapie (jede PatientIn bekommt alles, was technisch machbar ist, obwohl mitunter kein Nutzen für PatientIn besteht). Dies ist ein weltweit in Medizinsystemen mit viel Geld beobachtetes Phänomen, wo 40 Prozent der von ÄrztInnen verordneten Therapien in den letzten sechs Lebensmonaten PatientInnen nicht mehr nützen, Leiden verlängern und Sterben hinauszögern.

Wir schaffen damit ein neues Krankheitsbild, die sogenannte chronisch kritische Erkrankung, wo wir PatientInnen nicht gesund machen können und sie nicht in ein gutes und qualitätvolles Leben zurückkommen können.

Dies zu vermeiden gelingt nur, wenn man bereits im Studium neben dem maximalen Bemühen um Heilung auch lernt, wann es Zeit ist, den letzten Weg eines Menschen mit palliativmedizinischen Mitteln zu begleiten.

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