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FDP-Chef Lindner und Kanzlerin Merkel.

Politische Krise in Deutschland

"Jamaika" in Deutschland gescheitert

Zwei Monate nach der Bundestagswahl steht Deutschland vor unübersichtlichen politischen Verhältnissen. Die FDP hat die Verhandlungen mit CDU, CSU und Grünen über eine Jamaika-Koalition am späten Sonntagabend überraschend abgebrochen. 

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stürzt damit in die schwerste Krise ihrer zwölfjährigen Amtszeit. Die SPD bleibt bei ihrer Aussage, der Union nicht für eine weitere große Koalition zur Verfügung zu stehen. Damit bleiben entweder Neuwahlen oder die Bildung einer Minderheitsregierung übrig.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte die Parteien am Montag an ihre Verantwortung zur Regierungsbildung. Diese könne nicht einfach an die Wähler zurückgegeben werden, sagte Steinmeier. Er erwarte deshalb Gesprächsbereitschaft zur Regierungsbildung.

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FDP-Chef: Hätten in Jamaika-Bündnis den "nützlichen Idioten" gespielt

Der deutsche FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat seine Absage an eine mögliche Neuaufnahme von Gesprächen mit CDU, CSU und Grünen zur Bildung einer Regierung bekräftigt. "Eine Wiederaufnahme der Gespräche macht keinen Sinn. Die programmatischen Widersprüche verschwinden ja nicht", sagte Lindner dem "Focus" laut Vorausbericht.

"Auch die fortwährenden Indiskretionen während der Verhandlungen haben gezeigt, dass in einer Jamaika-Konstellation gegenwärtig keine stabile Regierung gebildet werden kann."

Wäre ein Jamaika-Bündnis Realität geworden, dann hätte die FDP den "nützlichen Idioten für eine Große Koalition mit ein bisschen Grün gespielt", sagte Lindner. Gleichwohl seien die Sondierungen keine Scheinverhandlungen gewesen. "Der Krafteinsatz über 50 Tage räumt doch jeden Verdacht aus. Wir haben Kompromisse gemacht und Maximalforderungen im Sinne der Einigung geräumt."

Er wolle nicht darüber spekulieren, ob es Neuwahlen gebe. Seine Partei werde in so einem Fall aber auf die gleichen Themen wie zuletzt setzen.

"Wir wollen keine österreichischen Verhältnisse"

Angesichts der innenpolitischen Krise in Deutschland hat der Vizechef der SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, als Alternative zu einer erneuten Großen Koalition eine Minderheitsregierung ins Gespräch gebracht. Er begründete seine Ablehnung einer Großen Koalition mit dem abschreckenden Beispiel Österreich. "Wir wollen keine österreichischen Verhältnisse", sagte Schäfer-Gümbel am Mittwoch im ZDF.

Dort hätten die ständigen schwarz-roten Bündnisse zu einer Stärkung der politischen Ränder geführt. Zudem sei die Union in den letzten Monaten der Großen Koalition vertragsbrüchig geworden. Auch aus inhaltlichen Gründen sehe die SPD "momentan keine Basis" für eine Große Koalition. Deshalb müsse man nach anderen Optionen suchen, sagte er und verwies auf Artikel 63 des Grundgesetzes.

Dieser ermöglicht Neuwahlen, aber auch eine Minderheitsregierung. Damit habe man in Hessen gute Erfahrungen gemacht in der Zeit der geschäftsführenden Landesregierung mit wechselnden Mehrheiten. "Wir haben andere Schwerpunkte für die Zukunft dieses Landes, und da sehen wir bei der Union momentan 0,0 Bewegung", begründete Schäfer-Gümbel die Ablehnung einer Großen Koalition. Der Union gehe es allein um Machterhalt.

Steinmeier als Krisenmanager

Alle noch einmal nachdenken: Das ist das Mindeste, was der deutsche Bundespräsident von den Parteien verlangen kann. Vor allem von der SPD, in der Steinmeier Jahrzehnte zuhause war. Seine Botschaft: Die einfachste Lösung muss nicht die beste sein.

ORF-Korrespondent Fritz zur Lage in Deutschland

Neuer Anlauf für Jamaika macht für Lidner "keinen Sinn"

Der deutsche FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat mangelnde Unterstützung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in den Jamaika-Sondierungen beklagt. Während die Grünen Geschäfte zu Lasten der FDP gemacht hätten, habe die FDP von Merkel "so gut wie keine Unterstützung für unsere Kompromissvorschläge erhalten", sagte Lindner der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Online Dienstag/Print Mittwoch).

In der FDP habe es die Wahrnehmung gegeben, "dass wir der Mehrheitsbeschaffer für ein im Kern schwarz-grünes Bündnis hätten werden sollen". Lindner weiter: "Es gibt Grenzen der Kompromissfähigkeit, wenn es darum geht, einen Partner zu demütigen. Was am Ende auf dem Tisch lag, haben wir leider so empfinden müssen." Ein neuer Anlauf im Jamaika-Format macht demnach Lindners zufolge "keinen Sinn".

Erste SPD-Abgeordnete kritisieren Groko-Ausschluss

In der SPD-Bundestagsfraktion trauen sich erste Politiker, den Beschluss der Parteispitze gegen eine erneute große Koalition zu kritisieren. So spricht sich der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Bernd Westphal, klar für Gespräche mit CDU/CSU und gegen Neuwahlen aus. "Die SPD hat sich zu weit festgelegt", sagte Westphal dem Handelsblatt (Dienstag). Er glaube, dass noch Bewegung möglich sei. "Die SPD muss klare Bedingungen formulieren und die Union Gelenkigkeit beweisen."

Am Montag hatte die SPD-Spitze einstimmig ihr Nein zu einer erneuten großen Koalition erklärt und betont, Neuwahlen nicht zu scheuen. Von dem Vorstandsbeschluss lasse sich laut Westphal abrücken, wenn ein "ordentliches Paket" geschnürt werde, das den Parteimitgliedern dann zur Abstimmung vorgelegt werde. Der Rechtsexperte der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, sagte der Zeitung: "Die SPD sollte nicht vorschnell auf Neuwahlen drängen und das Gespräch mit dem Bundespräsidenten ernst nehmen."

Auch das Wirtschaftsforum der SPD zeigte sich offen für Verhandlungen mit der Union zur Bildung einer großen Koalition. "Ich bin für Gespräche mit der CDU/CSU aus Verantwortung für dieses Land, um in schwierigen Zeiten eine stabile Regierung bilden zu können", sagte der Präsident des Wirtschaftsforums, Michael Frenzel, der Welt. Der ehemalige Chef des Reisekonzerns TUI fügte hinzu: "In den nächsten vier Jahren gilt es Antworten auf zentrale Herausforderungen wie Digitalisierung oder Mobilität zu finden, die SPD sollte sich hier nicht von der Gestaltung aussperren."

Die besten Reaktionen im Internet auf das Jamaika-Aus

Treffen zwischen Steinmeier und Schulz am Donnerstag

Das Gespräch zwischen dem deutschen Präsidenten Frank-Walter Steinmeier und SPD-Chef Martin Schulz über die Möglichkeiten einer Regierungsbildung ist nun für Donnerstagvormittag geplant. Das Treffen werde voraussichtlich am Donnerstagnachmittag stattfinden, hieß es am Dienstag aus Parteikreisen der SPD. Schulz selbst hatte das Gespräch zunächst für Mittwoch angekündigt.

Steinmeier hatte nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche von CDU, CSU, FDP und Grünen die Parteien eindringlich zu Gesprächen über eine Regierung aufgerufen, "um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen". Er selbst trifft in den nächsten Tagen mit den Vorsitzenden der für ein Regierungsbündnis in Frage kommenden Parteien zusammen. Am Montag hatte er mit CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel gesprochen. Am Dienstagnachmittag sind Termine mit FDP-Chef Christian Lindner sowie der Grünen-Spitze angesetzt.

Wenn das Musterland der Stabilität ins Wanken gerät

Ausgerechnet Deutschland bekommt die Regierungsbildung nicht auf die Reihe. Und das in unsicheren Zeiten. Bringt die Hängepartie im wirtschaftsstärksten EU-Land jetzt ganz Europa ins Wanken?

Schäuble fordert Kompromisse für Regierungsbildung

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen die Parteien zu Kompromissbereitschaft aufgerufen. Dies gehöre zum Wählerauftrag, sagte Schäuble heute in Bundestag. "Demokratie verlangt Mehrheiten", sagte der Parlamentspräsident.

"Mit der Wahl hat das Volk entschieden und damit müssen wir als Gewählte auch umgehen", so Schäuble. Es sei Verständnis nötig "für die schwierige Gratwanderung, die es für alle bedeutet, die politische Verantwortung tragen, für mehrheitsfähige Kompromisse auch in Teilen vom eigenen Wahlprogramm abzurücken", so Schäuble. "Das ist kein Umfallen, auch keine Profilschwäche."

Gleichzeitig warnte er davor, die Situation zu dramatisieren. "Es ist eine Bewährungsprobe, aber es ist keine Staatskrise." Angesichts der langwierigen Regierungsbildung will der Bundestag mit Hilfe eines Hauptausschusses seine Funktionsfähigkeit sicherstellen. Mit Ausnahme der Linken stimmten die Abgeordneten der im Bundestag vertretenen Parteien am Dienstag dafür, einen solchen Ausschuss zum zweiten Mal seit 2013 einzusetzen.

Abbildung von: Schäuble fordert Kompromisse für Regierungsbildung
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