Weg mit der rosaroten Brille

"Acht Punkte hinter Slowenien – das passt schon!“, „Manuel Fettner mit bestechender Konstanz“, „Nur 42 Punkte hinter den führenden Polen nach dem ersten Durchgang“ – das waren die Kommentare, die ich beim Skispringen als reiner TV-Konsument, der ich im Moment bin, anlässlich des Teambewerbs in Titisee-Neustadt zu hören bekam. Slowenien war zu diesem Zeitpunkt enttäuschender Vierter, Fettner platzierte sich konstant im Mittelfeld, was nicht viel brachte, 42 Punkte bedeuten im Mannschaftsspringen eine kleine Welt! Ich frage mich wirklich, ob unsere TV-Kommentatoren noch einen Sinn für Realität haben. Egal ob einer – und das ist derzeit ohnehin nur Stefan Kraft – oder keiner unserer Athleten am Stockerl steht – beim ORF wird alles, was im ÖSV-Team geschieht, durch die rosarote Brille gesehen.

Mit Kraft hat man in den letzten Jahren einen großartigen Springer mit Siegermentalität hervorgebracht, doch mannschaftlich gesehen fehlt es im Vergleich zu den Spitzenteams wie Norwegen, Deutschland oder Polen an Qualität. Da ist meiner Meinung nach der Abstand sogar größer geworden – nicht unbedingt im Bezug auf Technik oder Material, sondern im Wettkampfverhalten.

Unsere Athleten und Trainer vermitteln stets den Eindruck, als warte noch viel Arbeit, Trainingsrückstände müssten aufgeholt werden, man wüsste, wo die Baustellen sind und sei dabei, diese zu bewältigen. Das Team ist fleißig, hat Problembewusstsein und alle tun ihr Bestes. So weit, so gut.

Doch ich betrachte diese Aussagen aus einem anderen Blickwinkel. Wer immer noch beim Arbeiten, beim Trainieren ist, der ist stets auf der Suche, was er noch besser machen sollte – was gleichbedeutend ist mit: Ich bin nicht gut genug. Gleichzeitig kommt von außen die Botschaft: Es ist ohnehin alles super. Wie soll ich mich nun als Athlet einschätzen?

Beim Skispringen spielt sich vieles, wenn nicht sogar Entscheidendes, im Kopf ab. Skispringen ist zudem eine Schnellkraft-Sportart, da geht es nicht darum, bis zum Umfallen zu trainieren, sondern Bewegungsabläufe so zu speichern, das man sie automatisiert abrufen kann. Diese Abläufe haben die Athleten längst verinnerlicht, auch ein Michael Hayböck, der sich kurz vor Saisonbeginn verletzt hat. Das ÖSV-Team kann auf das beste Material zurückgreifen, technisch springen alle auf hohem Niveau. Ein Trainingsrückstand ist daher nicht wirklich das Problem. Vielmehr geht es darum, den Kopf frei zu bekommen. Mut zur Lücke ist angesagt. Wer sich nichts pfeift, der landet auch mit unperfekten Sprüngen ganz vorne.

Das sollte man sich bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg, das traditionell ein guter Boden für die Österreicher ist, zu Herzen nehmen.